2014-03-01
Dian Hanson - The Big Book of Legs
Die endgültige Befreiung des weiblichen Körpers vom Korsett und die Enthüllung der Beine sind für Frauen ein emanzipatorischer Akt. Genauso wie die Verbrennungen von BHs, High Heels und Lippenstifte in den späten 60ern des letzten Jahrhunderts, war das Ablegen von Korsetts und das Tragen von Hosen und kurzen Röcken seit der Suffragetten Bewegung zur Zeit der Königin Viktoria ein politisches Statement in der Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter. Dass dies in einer Zeit, wo selbst das Wort Bein als vulgär angesehen wurde, nicht ohne moralische Entrüstung einherging, versteht sich von alleine. Es galt doch damals als allgemein anerkannte Meinung, dass Frauen, die ihre Beine in Hosen steckten, aufmüpfig, sexuell lasziv seien und womöglich zu Lesben werden, selbst dann, wenn die Hosen mit Spitzen verziert und unter einem Rock verschwanden. Frauen die Hosen trugen, wurde es vorgeworfen, sie würden die Geschlechtergrenzen verletzten. Frauenbeine werden als Bedrohung moralischer Ordnung angesehen, weil sie zum Symbol weiblicher Unabhängigkeit werden. Die vielen Lagen von Röcken und Unterröcken, die die Frauen damals zu tragen haben, hatten nicht nur die Funktion, ihre Beine vor Kälte zu schützen und sie zu verbergen, sondern auch sie zu bändigen, die Beine und mit ihnen auch die Frauen immobil zu machen. Das kam einem unbewussten Eingeständnis gleich, dass das Leben von Männern erstrebenswerter sei, als das der Frauen, was die Avantgarde der Frauenbewegung noch erpichter darauf machte, dass weibliche Bein zu befreien. Die Frauenbewegung erfuhr bei diesem Vorhaben unerwartete Hilfe von einem simplen Transportmittel - dem Fahrrad. Neugierig wie sie nun mal sind, erobern Frauen für sich das Rad und eine Frauensportkleidung, die die Beine in einer bis dahin ungewohnten Art freizügig zur Schau stellte, setzte sich durch.
Ein ungewolltes Resultat all der Diskussionen war die Entfaltung zahlreichen Männerphantasien rund um die weiblichen Beine und mit ihnen vermehrten sich auch die Ideen, wie man diese geschäftlich ausbeuten könnte. Als ab 1915 die Rocksäume immer kurzer wurden, wurden Frauenbeine zu dem populärsten Objekt dessen, was zu dieser Zeit als Pornografie galt. In den 30ern Jahren kamen dann die Magazine auf, die sich ausschließlich dem Bein widmeten. Und während des zweiten Weltkrieges gesellte sich dazu eine ganze Palette von so genannten patriotischen Pin-up Magazinen mit dem markantesten Symbol der Ära - den Million Dollar Beinen von Betty Grable.
In den 40ern Jahren erschien der Comicstrip von John Willie Sweet Gwendoline, wodurch der Weg für Bizarre, das berüchtigtste Fetischmagazin, offen stand. Bereits in dem Comicstrip sind die späteren Haupthemen von Bizzare umrissen: Bondage und Züchtigung, wobei es interessanterweise die Unterscheidung zwischen den Gepeinigten und Peinigern durch einen machtvollen Fetisch visuell kenntlich gemacht wird. John Willie unterschied die guten und die bösen Mädchen mittels hochhakigen Schuhwerks - die guten trugen Pumps und die bösen - eng anliegende, kniehohe Stiefeln. Damit wird die Verbindung zwischen Frauenbeinen und sexuellen Macht gezogen. Bei Willie werden die Beine durch Kleidung und Pose der Models zu Stiletten.
Solche und ähnliche Geschichten rund um das weibliche Bein werden von Dian Hanson in dem Big Book of Legs erzählt. Es ist der dritte Teil einer Serie über die erotischen Körperzonen, die vom Taschen-Verlag herausgegeben wurde. Schon im Titel trägt das Band den Beinamen Big, dementsprechend ist es groß und schwer geworden. Auf rund vierhundert Seiten umspannt die Autorin die Zeit vom ausgehenden 19.Jh. bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ihre Ausführungen werden von zahlreichen Abbildungen meist namenloser Models begleitet, die oft nur mit Pumps, Nylons oder Strapsen bekleidet sind. Beachtenswert sind die teilweise akrobatischen Leistungen, die die Mädchen im Dienste der Fotografie zustande brachten. Rührend wirken dagegen die Fotografien aus den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts. Vielleicht ist es die Anmutung einer Zeit, in der sich noch alles am Anfang befindet, die diese nostalgische Rührung hervorruft. Andererseits ist es auch erstaunlich, wie wenig sich die visuellen Codes seit dem verändert haben. Die Bilder der späteren Dekaden greifen die damals formulierten Sujets auf und verändern sie nur geringfügig.
Die Masse der Bilder in einer schier unendlichen Wiederholung macht müde. Sie verhindert, dass die der Bilderauswahl zu Grunde liegende Intention erkannt werden kann und lässt das Besondere vermissen.
Dian Hanson: The Big Book of Legs
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